DDR-PLANUNGSGESCHICHTE
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Der Hut von Richard Paulick im Vorlass von Horst Siegel

Fund des Monats (Nr. 1 vom April 2020)

von Stefanie Brünenberg, IRS Erkner

 

Der schwarze Fedora, gefertigt in der Pariser Hutmacherei »SOOLS Maître Chapelier«, ist von besonderer Bedeutung für die Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS, da er gleich zwei Protagonisten der DDR-Architektur verbindet: Richard Paulick und Horst Siegel.

3D-Modell, erstellt mit Agisoft Metashape und Rhino 6 von Clemens Brünenberg (TU Darmstadt)

Richard Paulick (1903–1979) gilt – als Planer der Stalinallee, der Wohnkomplexe von Hoyerswerda und der »Chemiearbeiterstadt« Halle-Neustadt – neben Hermann Henselmann als einer der erfolgreichsten Architekten der DDR. Im Großprojekt Halle-Neustadt arbeitete Paulick eng mit seinem stellvertretenden Planungsleiter Horst Siegel (* 1934) zusammen, der zwischen 1967 und 1985 als Chefarchitekt die Stadtentwicklung Leipzigs maßgeblich geprägt hat. Damit steht der Hut – ursprünglich im Besitz von Richard Paulick, an das IRS übergeben von Horst Siegel – sinnbildlich für ein Bindeglied zwischen zwei Generationen von DDR-Architekten.

Richard Paulick ist – obwohl er sich nie als solcher bezeichnet hat – Teil der modernen Avantgarde. Als freier Mitarbeiter am Dessauer Bauhaus konnte er Mitte der 1920er Jahre Kontakte mit wichtigen Vertretern des Neuen Bauens wie Walter Gropius, Ernst Neufert und Marcel Breuer knüpfen. Sein »Experimental-Stahlhaus« als aus Stahlfertigteilen gefertigtes Wohnhaus in Dessau zeugt von deren modernen Einflüssen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland ging Paulick, unter anderem aufgrund seiner Parteimitgliedschaft in der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, als politischer Flüchtling nach China, wo er sich hauptsächlich Projekten des Möbel- und Innenausbaus widmete. 1943 an die amerikanische St. Jones Universität in Shanghai berufen, lehrte er dort bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland Innenausbau und Städtebau. Mit Gründung der Volksrepublik China verließ Paulick die Universität und fand mit Hilfe von Hermann Henselmann in Ost-Berlin Anstellung im Institut für Bauwesen. Aufgrund seiner Fähigkeiten und Erfahrungen als Stadtplaner wurde er schnell in den engeren Kreis der Stadtplanungskommission aufgenommen und konnte daher schon ab 1950 an der Neugestaltung der Berliner Innenstadt mitwirken. Mit dem Bau der »Deutschen Sporthalle« in der Stalinallee und der Berufung als Leiter einer der Meisterwerkstätten an die neu gegründete Deutsche Bauakademie steigt er in die oberste Riege der Architekten und Planer der DDR auf. Und auch nach der sogenannten »Wende im Bauwesen« bricht Paulicks Auftragslage nicht ab: Bei seiner Planung für die Stadterweiterung von Hoyerswerda kommt erstmals der industrialisierte Wohnungsbau zur Anwendung; es folgen Planungen für eine »Wohnstadt« in Schwedt und die oben genannte »Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt«. Hier treffen sich die Lebenswege der beiden Hutbesitzer Paulick und Siegel.

Der schwarze Fedora aus Paris soll ein Erkennungsmerkmal des Architekten Paulick gewesen sein. Dass er einen westeuropäischen Hut – ganz ähnlich dem, den auch Walter Gropius auf dem berühmten Foto der Lehrer auf dem Dach der Dessauer Bauhaus-Schule trug – besitzt und zur Schau stellt, zeigt ihn als einen weltoffenen Künstler. Betrachtet man diesen Hut als ein Distinktionsmerkmal, grenzt er sich durch dessen Form sowohl vom klassischen Arbeiter mit einer einfachen Kappe als auch vom Zylinder tragenden Adel ab (Vgl. Schmidt 2015, S. 130). Unklar bleibt, wie, wann und wo Paulick den Hut erworben hat – dass er ihn im November 1967 an seinen damaligen Mitarbeiter Horst Siegel übergibt, ist hingegen dokumentiert.

Mit seinem Hut zu sehen ist Richard Paulick auf einem 1967 (!) in Halle-Neustadt aufgenommenen Foto, hier abgebildet auf dem Logo der 2019/20 im Café Sibylle gezeigten Paulick-Ausstellung der Hermann Henselmann Stiftung (siehe unten).

 

Horst Siegel gehört zu einer der ersten in der Nachkriegszeit ausgebildeten Architektengenerationen. Er studierte zwischen 1951 und 1959 an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar (anfangs an der Arbeiter- und Bauernfakultät). Nach seiner Promotion 1963 fand Siegel Anstellung beim Auftraggeber für den Aufbau der Chemiearbeiterstadt Halle-West, um vorerst bei der städtebaulichen Verbindung der neuen Wohnstadt mit dem ursprünglichen Stadtzentrum mit zu planen. Hierzu gehört unter anderem die Verkehrsplanung am damaligen Thälmann-Platz (heute Riebeckplatz) sowie die Planung von Halle-West. Im Sommer 1965 erfolgte dann eine Beförderung Siegels: Zusammen mit Joachim Bach und Karlheinz Schlesier wird er zum stellvertretenden Chefarchitekten der Planungsaufgabe Halle-Neustadt ernannt. Im Rahmen dessen erarbeitet Siegel vor allem die Planungen für den Wohnkomplex III und die Konzeptionen für die Wohnkomplexe IV und VII sowie des Stadtzentrums. Auf Grund dieser Erfahrungen wird Siegel im Sommer 1967 zum Chefarchitekten der Stadt Leipzig berufen und avanciert damit zu einem der wichtigsten Stadtplaner in der DDR. Sein Abschied in Halle wird, so beschreibt er selbst es in seinen »autobiographischen Skizzen«, zusammen mit Paulicks Geburtstag im November 1967 gefeiert. Auf dieser Feier wurde eine Lotterie veranstaltet, bei der Horst Siegel den markanten Hut von Richard Paulick gewann – die Unterschrift Paulicks mit der Datierung auf der Innenseite des Hutes zeugen von der Übergabe dieses »Abschiedsgeschenks«.

Horst Siegel wird seine Stelle als Chefarchitekt in Leipzig beinahe 20 Jahre innehaben: Er baut sich Ende der 1960er Jahre eines der größten »Büros des Chefarchitekten« in der DDR mit einem Mitarbeiterstab von mehr als 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf. In diese zwei Jahrzehnte fällt nicht nur der Umbau des Universitätsplatzes mit dem markanten Hochhaus von Hermann Henselmann, sondern auch der neue Generalbebauungsplan für Leipzig, die Planung der Großwohnsiedlung Leipzig-Grünau sowie die Umgestaltung der Ostvorstadt Leipzigs und anderer Altbaugebiete. Damit umfassen seine Planungen die Bauaufgaben der postmodernen Architektengeneration der DDR: Einbindung soziologischer Erkenntnisse in die Stadtentwicklung, die Umsetzung des durch Honecker geprägten Wohnungsbauprogramms durch Großwohnsiedlungen und der Umgang mit den überkommenen, historischen Stadtgebieten.

Rückblickend beschreibt Horst Siegel den symbolischen Wert des Huts als Erinnerung an die wichtigen Erfahrungen bei seinem Lehrer: »Von Richard Paulick habe ich allerdings nicht nur den Hut als Symbol und Dank für meine ‚Lehrjahre‘ bei ihm mitgenommen, sondern mir auch seine Entwurfs-Methodik zu eigen gemacht, wenn es um die Führung größerer Architektenteams geht […].« (Siegel, Horst: Autobiografische Skizzen, Stand: Mai 2013). Siegel hat den Hut von Richard Paulick über all die Jahre behalten und im Jahr 2012 zusammen mit weiterem spannendem Material aus seinem Vorlass an die Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS Erkner übergeben (IRS-Signatur: C_54; der Hauptteil seines Vorlasses befindet sich im Stadtarchiv Leipzig). Mit dieser Präsentation als erstem »Fund des Monats« können wir dem Hut einen ihm gebührenden Platz geben.

 

Weitere Informationen zum Thema

Barth, Holger: Horst Siegel. In: Barth, Holger / Topfstedt, Thomas et. al (Hgg.): Vom Baukünstler zum Komplexprojektanten. Architekten in der DDR. Dokumentation eines IRS-Sammlungsbestandes biografischer Daten (= Dokumentenreihe des IRS, Nr. 3), Erkner 2000, S. 211–212

»Bauhaus – Shanghai – Stalinallee – Ha-Neu«. Der Lebensweg des Architekten Richard Paulick. Eine Ausstellung der Hermann-Henselmann-Stiftung im Rahmen der »Triennale der Moderne«, 2019

Durth, Werner / Düwel, Jörn / Gutschow, Niels: Architektur und Städtebau der DDR, Band 1: Ostkreuz. Personen, Pläne, Perspektiven, Frankfurt / New York 1999 (2., erw. Aufl.)

Hain, Simone: Siegel, Horst. Biographische Angaben aus dem Handbuch Wer war wer in der DDR?, 2009. Online unter: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/horst-siegel (Zugriff: 15.03.2020)

Hain, Simone / Wagner, Volker: Paulick, Richard. Biographische Angaben aus dem Handbuch Wer war wer in der DDR?, 2009. Online unter: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/richard-paulick (Zugriff: 15.03.2020)

Hörter, Stefan: Richard Paulick. In: Barth, Holger / Topfstedt, Thomas et. al (Hgg.): Vom Baukünstler zum Komplexprojektanten. Architekten in der DDR. Dokumentation eines IRS-Sammlungsbestandes biografischer Daten (= Dokumentenreihe des IRS, Nr. 3), Erkner 2000, S. 171–173.

Schmidt, Jürgen: Arbeiter in der Moderne. Arbeitsbedingungen, Lebenswelten, Organisationen, Frankfurt / New York 2015.