Gerd Wessel: Ironisierung der Monotonie

Der Berliner Architekt Gerd Wessel (geb. 1937), Mitarbeiter des Instituts für Städtebau und Architektur (ISA) der Bauakademie der DDR, der u.a. an vielen Architekturwettbewerben teilnahm und auch als Fachautor hervortrat, [1] war und ist zugleich Maler und Cartoonist. Seine Karikaturen zum Städtebau, von denen er 1981 eine Auswahl bei einer Ausstellung in Warschau präsentieren konnte, wurden trotz ihres teils beißenden Humors mitunter sogar in der führenden ostdeutschen Architekturzeitschrift Deutsche Architektur (späterer Titel: Architektur der DDR) veröffentlicht. Wenig Begeisterung an höherer Stelle weckte allerdings (und nach Wessels Erinnerung nicht eben karriereförderlich war) eine Collage zum Jubiläum der Zeitschrift, u.a. weil darin fidele Figuren zu sehen sind, die am Berliner Fernsehturm sägen.

1985 legte Wessel unter dem Titel Urbanitäten einen ganzen Band mit Karikaturen vor, der im Berliner Eulenspiegel Verlag erschien. Darin brachte er, der in diesen Jahren selbst an der Planung der Berliner Großsiedlung in Hellersdorf beteiligt war, vor allem auch unverblümt die Eintönigkeit von Architektur und Städtebau unter den Vorzeichen der industriellen Großbauweise zum Ausdruck, den Verlust älterer städtischer Qualitäten und die daraus entstehenden Probleme für die Bewohner. Die einzelnen Karikaturen haben in der veröffentlichten Version keinen Titel, sondern sind zu wenigen größeren Kapiteln zusammengefasst. Tatsächlich hatte Wessel auf die sehr wohl vorhandenen Bildunterschriften verzichtet, damit das Buch erscheinen konnte (freundliche Mitteilung des Künstlers).

Wessels Cartoons wurden auch von dem bedeutenden Pariser Architekturkritiker Claude Schnaidt sehr geschätzt, der in die 2004 erschienene Sammlung seiner Aufsätze aus 50 Jahren zahlreiche Karikaturen von Wessel aufnahm. Die Originalzeichnungen zu den beiden unten genannten Cartoonbänden von Wessel befinden sich heute in der Berlinischen Galerie.

Aus dem Kapitel »Das Stadtleben muß ständig geübt werden«:

Aus dem Kapitel »Durch Gestaltung wird nicht alles schön«:

© für alle Zeichnungen: Gerd Wessel, Berlin (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung)

[1] Siehe neben mehreren Mitautorschaften bei Büchern etwa Gerd Wessel, Zu Veränderungen der städtebaulich-räumlichen Ordnung, in: Deutsche Architektur, Bd. 19 (1970), S. 722–729.

Cartoonbände von Gerd Wessel

• Gerd Wessel, Bilder aus der Stadt [Beitrag zur Ausstellung »Architektur-Karikaturen« anlässlich des Internationalen Kongresses der Architekten in Warschau], [Berlin] 1981
• Ders., Urbanitäten. Cartoons, Berlin 1985

Quellenhinweis

• IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand Bund der Architekten (BdA) der DDR, Aufnahmekartei, Aufnahmeantrag von Gerd Wessel (Signatur: B_2-0780); siehe dazu den Eintrag im Porträtportal DigiPortA unter http://www.digiporta.net/index.php?id=632998853

Literatur

• Birgitt Eltzel, Gerd Wessel, der erste Stadtzeichner von Hellersdorf, hat sein Atelier bezogen, in: Berliner Zeitung vom 16. Mai 2001, online unter http://www.berliner-zeitung.de/16128046
• Elke Leetz, Kultur in der Kirche, in: Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Woltersdorf, Juni/Juli 2014, S. 2
• Claude Schnaidt, Autrement dit: écrits 1950–2001, Gollion 2004 (Übersetzung unter dem Titel Anders gesagt. Schriften 1950–2001, hg. von Gerd Zimmermann und Norbert Korrek, Weimar 2009)