DDR-PLANUNGSGESCHICHTE
Portal des IRS Erkner zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR
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»Wir ehemaligen Ostzonesen«

Egon Hartmanns Planernetzwerk
zwischen Bundesrepublik und DDR

von Annika Levels

 

Egon Hartmann war Architekt und Städtebauer im geteilten Deutschland. Geboren 1919 im ehemaligen Reichenberg im Sudetenland, absolvierte er sein Architektur- und Städtebaustudium nach dem 2. Weltkrieg an der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar und war von 1949 bis 1976 im Wiederaufbau von Städten in beiden deutschen Staaten tätig. Zu seinen beruflichen Errungenschaften zählen unter anderem das Regierungshochhaus in Erfurt, der Siegerentwurf für die Gestaltung der Stalinallee 1951, der 2. Preis im Berliner Hauptstadtwettbewerb 1957, sowie die Entlastungsstadt Neu-Perlach bei München. Seine Biographie aber ist nicht nur auf Grund dieser architektonischen Erfolge von Interesse, sondern vor allem wegen ihrer grenzüberschreitenden Bezüge, die im Folgenden genauer betrachtet werden sollen. [1]

Eine der bedeutendsten Zäsuren im Leben Egon Hartmanns markiert das Jahr 1954: aus einem Urlaub in Österreich würde er nicht nach Thüringen zurückkehren, sondern verließ die DDR und trat anschließend auf Empfehlung Gerd Offenbergs eine Stelle beim Stadtplanungsamt der Stadt Mainz an. Was auf den ersten Blick wie ein klarer Bruch sowohl mit dem sozialistischen Staat, als auch mit seinem privaten wie beruflichen Leben dort wirkt, erwies sich bei genauerer Analyse seiner persönlichen Verbindungen als vielschichtiges und teils widersprüchliches Phänomen: In seinem Nachlass befinden sich umfangreiche Briefkorrespondenzen zwischen ihm und seinen Planer- und Architektenkollegen aus der DDR, die gänzlich aus der Zeit stammen in der Hartmann bereits in die Bundesrepublik emigriert war. In diesen Briefen verhandelte Hartmann in erster Linie berufliches und fachliches, das sich aber verschiedentlich auch mit privatem mischte und knüpfte so intensive Beziehungen über die innerdeutsche Grenze hinweg.

Mein Gewissen läßt mir keine Ruhe mehr […]. Ich möchte versuchen Ihnen zu erklären, daß ich kein schlechter Mensch bin, kein Verräter, auch keiner, der aus Abenteurerlust ein anderes Leben sucht, sondern ein an Leib und Seele zerbrochener Mensch […]. [2]

Mit diesen Worten begann Egon Hartmann nur wenige Wochen nachdem er die DDR verlassen hatte, seinen ersten Brief an Kurt Liebknecht, dem Präsidenten der Deutschen Bauakademie. In den ersten Monaten nach seiner Emigration, versuchte er in langen Korrespondenzen sowohl Liebknecht als auch Walter Pisternik, dem Hauptabteilungsleiter des Aufbauministeriums, sowie vermutlich sich selbst die Gründe für das Verlassen der DDR zu erklären. Diese aber blieben so vielfältig wie wage: einerseits litt Hartmann unter schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen besonders seiner Atemwege als Folge seiner Kriegsverletzung, andererseits beschreibt er seine Arbeitssituation als äußerst belastend, stressig und schlecht bezahlt. Darüber hinaus häuften sich in den Jahren davor politische Reibereien vor allem über seine Entwürfe für den Wiederaufbau Dresdens sowie für das Regierungsgebäude in Erfurt.

 

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Egon Hartmanns deutsch-deutsches Briefnetzwerk (Grafik: Annika Levels / Henrika Prochnow)

 

Später, als Hartmann in Mainz Fuß gefasst und seine planerische Arbeit wieder aufgenommen hatte, nahm er außerhalb seiner amtlichen Tätigkeit an bedeutenden internationalen Wettbewerben teil, so z.B. dem berühmten Wettbewerb „Hauptstadt Berlin“ im Jahr 1957, sowie dem Wettbewerb zur Gestaltung der Domumgebung in Köln, 1956. Beide Entwürfe fertigte er mit der Unterstützung ehemaliger Kollegen aus der DDR an: Rudolf Wohlmann, der zu dieser Zeit in Halberstadt tätig war, und Karl Worf, von Beruf Technischer Zeichner und Architekt in Weimar, reisten beide für einige Tage in die Bundesrepublik um Hartmann zu besuchen und an diesen Wettbewerben mitzuwirken. Im Besonderen der Wettbewerb „Hauptstadt Berlin“ war einer der größten Erfolge in Hartmanns Karriere: gemeinsam mit seinem Kindheits-Freund und Co-Autoren Walter Nickerl, der zu dieser Zeit bei der Stadt Gelsenkirchen tätig war, gewann er den 2. Preis. Dieser Erfolg wurde aber für Karl Worf nach Bekanntwerden seiner Mitarbeit ungleich zum Problem: der Hauptstadtwettbewerb, ausgelobt vom West-Berliner Senat für das Gebiet des gesamten wiedervereinten Berlins, war im Osten als eine politische Provokation wahrgenommen und die Teilnahme den Mitgliedern des DDR-BDA untersagt worden. Obwohl Karl Worf zu dieser Zeit selbst kein BDA-Mitglied war, musste er sich mit steigender Überwachung, Befragung und der Drohung von beruflich-politischen Konsequenzen durch das DDR-Regime abfinden. Scheinbar hatten sowohl er als auch Hartmann die möglichen Konsequenzen einer Ost-West-Kooperation zu dieser Zeit unterschätzt.

In der Folge stellte Hartmann seine grenzüberschreitenden Kooperationen ein. Zum Ende der 1950er Jahre hin stand mit dem Bau der Berliner Mauer der symbolische Höhepunkt der Systemkonkurrenz und die Abschottung der DDR kurz bevor, und Hartmanns Briefnetzwerk verschob sich mehr und mehr nach Westen. Des Weiteren zog Hartmann im Jahr 1959 nach München und fand dort eine neue planerische Herausforderung, die er ehrgeizig und pflichtbewusst verfolgte. In dieser Zeit gewannen insbesondere seine Freunde und Kollegen aus seiner Studienzeit an der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar zunehmend an Bedeutung, die Ende der 1950er Jahre alle, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in die Bundesrepublik emigriert waren. Mit Heinrich Weiß und Gerd Stedtler, Hartmanns Kommilitonen die zeitgleich mit ihm ihren Abschluss am Lehrstuhl von Gustav Hassenpflug gemacht hatten, pflegte Hartmann besonders engen Kontakt. Während Weiß einen schweren Start in der BRD hatte, mehrfach den Job wechselte und hier des Öfteren auf Hartmann als Ressource und Unterstützung zurückgriff, war das Verhältnis zu Gerd Stedtler in ausgeprägter Weise freundschaftlich: die beiden besuchten sich regelmäßig, unternahmen Studien- und Urlaubsreisen. Mitte der 1960er Jahre nahm das alte Weimaraner Netzwerk im Westen dann noch stärker Form an: 1966 fand in Bonn, organisiert von Horst und Eva Dittrich, ein Ehemaligentreffen der Weimaraner in der Bundesrepublik statt. Eine Karte sowie ein Adressverzeichnis die zu diesem Anlass erstellt wurden zeigen eindeutig, dass der größte Teil der Graduierten aus den späten 1940er Jahren, die DDR in Richtung BRD verlassen hatte und sich dort eine neue berufliche Existenz aufbaute.

Die grenzüberschreitenden Netzwerke Hartmanns verschoben und transformierten sich also im Laufe der Zeit: während er zu Beginn seiner Zeit in der BRD noch tatsächliche Verbindungen in den Osten unterhielt – sei es zur Erklärung seiner Umsiedlung oder zur fachlichen Kooperation – wird mit der Zeit ein im Osten gegründetes, aber in den Westen transferiertes Netzwerk von größter Relevanz. Die an der Hochschule in Weimar geknüpften Verbindungen blieben auch in der Planerszene Westdeutschlands in den 1960er Jahren bestehen: basierend auf gemeinsamer Herkunft und Erfahrung bilden die »ehemaligen Ostzonesen« [3] ein Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung und Kooperation, Freundschaft sowie des fachlichen Austauschs.

 

Anmerkungen

[1] Der Beitrag basiert auf einem Aufsatz der Autorin zu Egon Hartmanns Netzwerken: Annika Levels, Across the border. Ties of architects and urban planners between East and West Germany: the case of Egon Hartmann, 1954–1976, in: Planning Perspectives, Bd. 32 (2017), S. 557–576 (weitere Informationen unter www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/02665433.2017.1317015).

[2] Egon Hartmann an Kurt Liebknecht, 14.08.1954. IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen, C_35-19.1.

[3] So Walter Nickerl in einem Brief an Egon Hartmann vom 17.03.1957. IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen, C_35-20.4.