von Andreas Butter, IRS Erkner
Von den sieben bekannten, zwischen Ende 1988 und 1989 erarbeiteten Vorschlägen für den DDR-Pavillon finden sich zwei Beiträge als Modell in den Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS (siehe unten die Abbildungen 1 und 5). Sie stammen aus Beständen der Bauakademie der DDR und wurden nach deren Auflösung in das Archiv des neu gegründeten IRS überführt. Eigentlich war im Rahmen dieser Reihe nur geplant, die beiden Objekte kurz vorzustellen. Allerdings entfaltete sich im Lauf der Recherchen die Geschichte eines des letzten und vielleicht aussagestärksten Projekte für einen DDR-Gesellschaftsbau. Ohne die Begleitumstände und Intentionen bei Ihrer Entstehung zu erwähnen, können die materiellen Zeugnisse nicht verstanden werden. Wir danken Achim Felz, Dieter Bankert, Dietmar Kuntzsch, Bernd Rudolf und Bernd Sikora für ihre Informationen und freundliche Unterstützung.
Ein spätes erstes Mal
Die EXPO 92 war die erste geplante Beteiligung des „Arbeiter- und Bauernstaats“ an einer Weltausstellung überhaupt, und nun fiel sie mit einer existentiellen Krise des Realen Sozialismus zusammen. Nach der Überwindung der westdeutschen Hallstein-Doktrin, dem UNO-Beitritt 1973 und Jahrzehnte langen intensiven Außenhandels- und Solidaritätsaktivitäten war die internationale Anerkennung der DDR gewachsen. Eigentlich erschien es überfällig, sich auch bei dieser Gelegenheit gegenüber dem Westen zu profilieren. Dies wurde nicht leicht, denn die Bonner Republik hatte bereits in Brüssel 1958, in Montreal 1967 und Osaka 1970 durch Höchstleistungen der Ingenieurbaukunst Aufsehen erregt.
Spanien war in Ostdeutschland fast ein Vierteljahrhundert lang vor allem als Schauplatz des Bürgerkriegs und ein von grausamster Reaktion beherrschtes Land gesehen worden. Obwohl dies inzwischen Jahre zurücklag, war die DDR dort weniger präsent als in anderen Teilen Westeuropas. Und so bedeutete die Teilnahme an der für Mitte 1992 angesetzten EXPO in der Hauptstadt Andalusiens eine mehrfache Herausforderung. Die Ausstellung sollte auf der Flussinsel La Cartuja stattfinden und war anlässlich des 500. Jubiläums der Entdeckung Amerikas dem „Zeitalter der Entdeckungen“ gewidmet – ein Titel der außerhalb Europas zuweilen auf Kritik stieß. 108 Länder nahmen schließlich teil; hinzu kamen die Präsentationen der 17 spanischen Regionen, internationaler Organisationen und Unternehmen sowie riesige Themen-Hallen. Zu Beginn der Planung war vorgesehen, ein Viertel der Pavillons für die langfristige Nutzung vorzusehen. Später hieß es, dass sogar drei Viertel der Länderpavillons erhalten bleiben sollten, doch war vielen, wie oft nach Weltausstellungen, keine große Zukunft vergönnt.
Bis zum Frühsommer des Wendejahres 1989 ahnten nur wenige DDR-Bürger etwas von den kommenden Ereignissen, die in die Auflösung des Staates, in dem sie lebten, mündeten. Allerdings hatten sich trotz der offiziellen Verschlossenheit gegenüber der sowjetischen Glasnost-Politik Reformdiskurse entfaltet, die vor wissenschaftlichen Einrichtungen wie der Bauakademie nicht Halt machten. Da die Gestaltung der Pavillons auf Weltausstellungen seit jeher für die Imagekonstruktion der jeweiligen Nation in Dienst genommen wurde, ist ein Blick auf das angestrebte Selbstbild des Landes zwischen Ostsee und Erzgebirge in jener Umbruchzeit aufschlussreich.
Nachdem das Politbüro des ZK der SED am 10. Mai 1988 die Teilnahme beschlossen hatte, wurde Erhardt Gißke (1924–1993), Generaldirektor der Baudirektion Hauptstadt Berlin des Ministeriums für Bauwesen, als Chefkoordinator vorgesehen. Für den Entwurf erfolgte zum 31. Januar 1989 DDR-intern die Ausschreibung eines Wettbewerbs mit aufgeforderten Teilnehmern. Der Pavillon sollte eine Fläche von 1.200 m² umfassen und von DDR-Betrieben weitestgehend in Vormontage erstellt werden. Es galt die Maßgabe strengster Sparsamkeit, doch zugleich hatte das „Leistungsvermögen der DDR-Bauindustrie“ deutlich zu werden. Inhaltlich sollte es, so der Ausschreibungstext, darum gehen, die „Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftsordnung“ und die Notwendigkeit des Einsatzes von Wissenschaft und Technik zum Wohle der Menschheit zu vermitteln. Das „unverwechselbare Profil“ gegenüber den Pavillons der Konzerne und kapitalistischen Länder habe darin zu liegen, dass in der DDR jede Entdeckung dem Volke zu Gute komme. Unter dem Titel „Die DDR-Industrie bereitet sich auf das 3. Jahrtausend vor“ war vorgesehen, Spitzenerzeugnisse der Schlüsseltechnologien zu präsentieren.
Die Beiträge
Ein Erster Preis ging an den Vorschlag der Bauakademie der DDR. Der Entwurf stammt von den Architekten Achim Felz (* 1933), Peter Skujin (* 1935) – beide hatten u.a. bereits die Gestaltungskonzeptionen für zwei DDR-Bauausstellungen erstellt, Felz war Mitentwickler der Großtafelbauserie P2 – und dem Ingenieur Hermann Elze (1927–2009). Im IRS befindet sich das größtenteils in Karton ausgeführte Modell. Inhaltlich ging es vor allem um die Errungenschaften der optischen Industrie. So bestimmt das Kreismotiv der Linse die Gruppierung aus vier zylindrischen Raummodulen (u.a. Zentralhalle, Kindercafé, Raum für Projektionen unter dem Glasboden) bis hin zum Vordach und der Außentreppe. Durch das Ineinanderschieben zweier Trakte und die gegeneinander versetzten Dachschrägen gewinnt das Ensemble an Spannung. An den Außenwänden zeichnet sich ab, dass sie in Montagebauweise ausgeführt werden sollten. Die Belichtung erfolgt über eine externe Konstruktion, deren Hohlspiegel Tageslicht ins Innere leiten sollten. Besonders signifikant wirkt eine Wasserplastik in der Font des Gebäudes. In Anlehnung an die andalusische Brunnentradition, formal den „Pusteblumen“ von Leonie Wirth (1935–2012) in der Dresdner Prager Straße nicht unähnlich, sollte sie auf energiesparende Weise Kühlung erzeugen. Das Modell wurde in der Modellwerkstatt der Bauakademie unter Leitung von Hans-Günter Zechert erstellt.
Abb. 1: Beitrag der Bauakademie der DDR (1988)
(Modell: IRS Erkner, Wiss. Sammlungen; Zeichnung: Privatarchiv Achim Felz)
Einen weiteren Ersten Preis erhielt der Beitrag der Hochschule für Architektur und Bauwesen (HAB) Weimar, erarbeitet unter Leitung von Horst Siegel (* 1934), dem ehemaligen Chefarchitekten von Leipzig. Bernd Rudolf (* 1956) war für Entwurf und Modellbau zuständig, Oskar Buettner konzipierte das Tragwerk. Von Matthias Zimmermann stammen Grundrisse und Schnitte; Andreas Kästner erstellte die Schaubilder. Der Entwurf zeigt ein weitgespanntes Parabeldach mit Raumtragwerk; es bildet eine teilweise verglaste Halle aus, in die sich der Block des eigentlichen, über Galerien und eine Rampe erschlossenen Ausstellungsgebäudes einfügt. Komplementär zum Schwung des Zugangs ist in die ansteigende Fläche des Dachs eine riesige, als Globus mit Gradnetz gestaltete Kugel eingeschoben. Sie nimmt Zeiss-Planetariumstechnik auf, die auch in der Lage sein sollte, Luftbilder zu projizieren.
Abb. 2: Beitrag der HAB Weimar (1988)
(Privatarchiv Bernd Rudolf)
Die Jury entschied, dass aus beiden ersten Beiträgen eine Synthese gebildet werden sollte, wobei für die Architektur die Weimarer Lösung und für die Ausstellungsgestaltung die Ideen der Bauakademie herangezogen werden sollten. Dieser Gemeinschaftsentwurf wurde im Frühjahr 1989 durch das Kollektiv der HAB Weimar erstellt und im Juni bestätigt. Das Team erweiterte sich noch einmal: Hinzu kam der Ausstellungsgestalter Peter Plattner. Als Konsultanten wirkten Dieter Bankert und Rainer Weisbach – selbst Autoren eines Wettbewerbsbeitrags – vom Bauhaus Dessau, Bernd Fritsch vom Metall-Leichtbaukombinat Leipzig, der Strömungstechniker Gunther Schulze, Klaus Szangolies vom VEB Carl Zeiss Jena und Peter Thiessen (* 1936) von der Akademie der Wissenschaften.
Abb. 3: Finale Variante des Pavillons als Syntheseentwurf (1989)
(Privatarchiv Achim Felz)
Aus technischen Gründen wurde die Wasserskulptur des Bauakademie-Vorschlags ins Innere der bläulich verglasten Kugel (Durchmesser 15 Meter) verlegt. Das aus 320 programmgesteuerten Düsen zur Abkühlung versprühte Wasser sollte aufgefangen und wiederverwendet werden. Als Verkörperung von „Erdball, Baum oder Blume“, wie es im Erläuterungstext beschrieben wird, verband das Objekt nun mehrere symbolische Zugänge. Ein Prototyp dieser Wasserskulptur wurde zu Testzwecken sogar realisiert. Da die Kuppel für Projektionen nicht mehr zur Verfügung stand, sollte die Technik des Planetariums auf zwei hängende halbkugelartige Flächen im Gebäudeinneren ausgerichtet werden. Die Lichtführung von außen ins Innere „als leuchtender, künstlerisch gestalteter Strahl“ wurde beibehalten. Die Gestaltungsidee lautete jetzt, weitab der anfangs geforderten staatspolitischen Aussagen: „Sonne und Wasser als Lebenselixiere prägen die Gestaltung von Pavillon und Präsentation“; Gegenstand waren „Körperkultur, Sport und Ökologie“. Felz schlug weiterhin eine Begrünung des Dachs und am Eingang die Aufstellung von Wolfgang Mattheuers (1927–2004) „Jahrhundertschritt“ vor, einer Plastik, die die Extreme der jüngeren deutschen Geschichte reflektierte. Beides ist in der Endversion, die für die Präsentation in Sevilla Anfang 1990 vorgesehen war, nicht mehr vorhanden.
Bevor der weitere Gang der Geschehnisse beleuchtet wird, sollen jedoch die anderen Vorschläge besprochen werden:
Im Auftrag seines Direktors Rolf Kuhn (* 1946) erarbeiteten Rainer Weisbach († 2014), Dieter Bankert (* 1938) und Jens Fischer am Zentrum für Gestaltung Bauhaus Dessau einen ambitionierten Beitrag zum Wettbewerb. Er war durch eine „Raum-Zeit-Pyramide“ mit Aufwärtsspirale charakterisiert. Dieter Bankert schreibt dazu 2020: „Das Hauptexponat sollte der Pavillon selbst sein, in dem mit simulierter Überflugprojektion Stadt und Land der DDR, auch der Nachthimmel, gezeigt werden sollte. Es war gedacht, im Kopf der Pyramide ein Zeißplanetarium-Projektor zu installieren, der die Bilder nach unten in eine „Schüssel“ werfen konnte. Die vier Pyramidenseiten tragen variablen Wetter- und Lichtschutz – ein Ballon umgab das Ganze. Die Besucher umliefen auf einer Spiralrampe, die sich nach oben verjüngte, den inneren Projektionskegel, um an der Reling den Überflug zu erleben.“ Das dazu in Eisen gefertigte Modell befindet sich heute im Besitz der Stiftung Bauhaus Dessau.
Abb. 4: Beitrag des Zentrums für Gestaltung Bauhaus Dessau (1988)
(Privatarchiv Dieter Bankert)
Ein etwas weniger spektakuläres Modell, seine Urheberschaft ist bislang ungeklärt, wird in den Wissenschaftlichen des IRS verwahrt. Hier empfängt das polygonale Gebäude mit springender Traufhöhe und expressiv gefaltetem Dach die Besucher über eine symmetrische Eingangsfront. Allerdings wird diese von einem keilförmigen, offenen Vorbau, in den ein Glaszylinder eingeschoben ist, verdeckt. Davor öffnet sich ein vertiefter halbkreisförmiger Platz. Überdachte hofartige Einsprünge fragmentieren den Baukörper und vermitteln das Innere mit dem umgebenden Raum.
Abb. 5: Beitrag unbekannter Autoren (1988)
(IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Ein weiterer Vorschlag ist fotografisch im Vorlass von Dietmar Kuntzsch (* 1936), Professor an der Kunsthochschule Weißensee, überliefert. An der Planung beteiligt war der Tragwerksspezialist Otto Patzelt. Bildkünstlerische Beiträge sollten u.a. Werner Stötzer (1931–2010), Heinrich Tessmer (1943–2012) und Peter Makolies (* 1936) liefern. Auch hier war am Eingang die Aufstellung von Wolfgang Mattheuers „Jahrhundertschritt“ vorgesehen. Der langgestreckte Pavillon selbst bestand aus einer zur Hälfte verglasten Binderkonstruktion mit Satteldach. Sie sollte, so die Erläuterungen „das Haus“ evozieren, „symbolhaft schützend, offen, europäisch“. Einen Anklang dialektisch mitgedachter Brüchigkeit, aber wohl eher prozesshaft aufgefasster Erweiterung vermittelt ein frei stehender Binder vor der Gebäudefront. Im Inneren dominiert als Exportschlager der DDR – z.B. in Tripolis und Wolfsburg realisiert – wieder einmal die Kuppel des Zeiss-Planetariums und antwortet, sekundiert vom Deckengemälde „Taghimmel – Nachthimmel“, auf das Leitmotiv der Ausstellung.
Abb. 6: Beitrag der Kunsthochschule Weißensee (1988)
(Baukunstarchiv der Akademie der Künste, Berlin, Vorlass Dietmar Kuntzsch)
Als Alternative zum Ergebnis des Wettbewerbs beauftragte DDR-Kulturminister Dietmar Keller (* 1942) den Architekten Bernd Sikora (* 1940) von der Theaterhochschule Leipzig mit einem weiteren Vorschlag. Skizzen lagen bereits im Februar 1989 vor; die Reinzeichnungen datieren vom September 1990. Sikora stützte sich wie der Bauhaus-Beitrag in der Wirkung auf einen Kontrastreiz aus Rund- und Dreiecksformen und nahm, so der Autor, auf die Ästhetik El Lissitzky Bezug. Mit seinen Stab- und Parabolantennen und dem besonders prominent eingesetzten Raumtragwerk (und natürlich einem Planetarium) stellte er zugleich den High-Tech-Charakter heraus. Konnotiert war dies als „Zeichen der Kommunikation über Funk und Fernsehen sowie damalige Erkenntnisse zur aktiven und passiven Nutzung von Sonnenenergie“. Indem die Anlage auf die Fläche des Flusses hinausgriff, wurde auch hier die Rolle des Wassers in der Lebensumwelt angesprochen.
Abb. 7: Beitrag der Theaterhochschule Leipzig (1989/90)
(Privatarchiv Bernd Sikora)
West statt Ost
Keiner der Vorschläge kam mehr zur Umsetzung, denn in Vorwegnahme der Volkskammer-Wahl wurde das Projekt durch Ministerratsbeschluss von 12. März 1990 abgebrochen. Nach der Vorstellung der Länder-Entwürfe 14 Tage später in Sevilla ging die DDR auf das Angebot des bundesdeutschen Generalkommissars für die Deutsche EXPO-Beteiligung Hans-Gerd Neglein (* 1927) ein, dem westdeutschen Pavillonprojekt ‚beizutreten’. Die ZEIT (Nr. 17/1990) bemerkte dazu süffisant: „Ihren Rückzug von der Weltbühne vollzieht die DDR Schritt für Schritt. Jetzt gab Ost-Berlin bekannt, bei der geplanten Weltausstellung im spanischen Sevilla auf einen eigenen Pavillon zu verzichten. Die hehren sozialistischen Baupläne fielen der Einsicht zum Opfer, dass bis zum Beginn der Expo ’92 in genau zwei Jahren ohnehin nur noch eine Flagge zwischen Rhein und Oder wehen wird. Das Tempo der reunificacion alemana, der deutschen Wiedervereinigung, überrollte auch konföderative Gedankenspiele, die beiden deutschen Ausstellungshallen durch eine Brücke zu verbinden. Nun wird Ost-Berlin wohl im großzügig konzipierten Bonner Pavillon unterkriechen.“
Auch dem Bauvorhaben der Bundesrepublik war zwischen Oktober 1989 und März 1990 ein Wettbewerb (Vorgabe: Eine „Dominante, die dem Besucher ein nachhaltiges Aha-Erlebnis vermittelt“) mit zwölf Teilnehmern vorangegangen. Allerdings wurden die Arbeiten am Siegerentwurf der Architekten Fritz Auer (* 1933) und Carlo Weber (1934–2014), Partner von Günter Behnisch beim Münchner Olympiapark, bereits im Sommer 1990 gestoppt – wegen der ironisch akzentuierten Innengestaltung des Bildhauers Albert Hien (* 1956) und massiver Kostenüberschreitungen. Stattdessen kam ein bereits 1988 für eine Industrieausstellung in Neu Dehli abgelehnter Entwurf des Juryberaters Georg Lippsmeier (* 1923) zum Zug: ein ovales, von einem schrägen Pylon gehaltenes Luftkissendach aus Segeltuch über einer offenen Terrassenlandschaft. Das Begleitbuch beschrieb unter dem Titel „Visionen – Impressionen“ das Credo des Pavillons folgendermaßen: „… die Integration Deutschlands in die Zukunftsfähigkeit Europas und der Welt … Dabei geht es weniger um Technik und Fortschritt, als vielmehr um kreative Begegnungen der alten Kulturnationen Spanien und Deutschland.“
Möglicherweise war es nicht nur Pragmatismus angesichts der Zeitknappheit – weniger als zwei Jahre vor dem Eröffnungstermin der EXPO –, der die Chance zu einem gemeinsamen Entwurf von Kollegen und Kolleginnen aus beiden Landesteilen ungenutzt ließ. Diese hätte einigen Aufwand erfordert, aber der Beitrag eines gemischten ost-westdeutschen Teams wäre von vielen ehemaligen DDR-Bürgern als Zeichen einer Begegnung auf Augenhöhe positiv aufgenommen worden.
Anregungen?
Bislang ist unklar, ob es sich bei der amphitheatralisch vertieften, gastronomisch genutzten Fläche im Vorfeld des von Harald Mühlberger nach der Idee von Lippsmeier ausgeführten Pavillons der Bundesrepublik Deutschland um eine Reverenz an den oben genannten, noch keinem Architekten zugeschriebenen DDR-Beitrag handelt. Sie könnte in einer Überarbeitungsphase in den bestehenden Entwurf Lippsmeiers eingefügt worden sein. Auch in der Fassadengestaltung des eigentlichen Baukörpers mit ihrer Lamellen- bzw. Blendenstruktur finden sich Anklänge an das Pavillondesign aus der DDR.
Eine erstaunliche Ähnlichkeit fällt zwischen dem offiziellen DDR-Modell und dem ausgeführten „Pavillon der Wissenschaften“ ins Auge. Hier gab es tatsächlich ein Planetarium, allerdings auf Grundlage neuester US-amerikanischen Digistar-Technologie. In beiden Fällen zeigen die angeschnittenen Parabeldächer auf markante Weise ihr Raumtragwerk an der Giebelseite, was sie, etwas entfernter, mit dem nicht zugewiesenen DDR-Wettbewerbsbeitrag aus dem IRS-Bestand und denen von Kuntzsch/Patzelt und von Sikora verbindet. Nun könnten solche Parallelen mit dem internationalen Stand der Bautechnik und der Ausstellungsgestaltung, den (im Sommer extremen) klimatischen Verhältnissen in Südspanien oder schlicht einem Zeitstil erklärt werden. Sie belegen aber auch, dass es viele Berührungspunkte gab. Was wäre aber dann das Spezifische im Ausdruck der ersten und zugleich letzten Entwürfe für einen EXPO-Pavillon der im Wandel begriffenen DDR gewesen?
Abb. 8: Vorhof des ausgeführten deutschen Pavillons (1992)
(https://legadoexposevilla.org/…)
Abb. 9: Pavillon der Wissenschaften (1992)
(Foto: Daniel Villafruela; Wikimedia Commons)
Formale Spezifik und Ausdruck der Zeit
Gemeinsam war den DDR-Beiträgen die Zuwendung zur Ingenieurbaukunst und zur Hochtechnologie. Dass dies ikonisch wirkungsvoll durch Raumtragwerke und Planetariumskuppeln herausgestellt wurde, überrascht kaum. Das Bild der DDR als innovative Industrienation bildete ein Kontinuitätsmoment, das im Wettstreit mit der Bundesrepublik Exportrelevanz besaß. Geometrische Grundformen, die Pyramide, die Kugel, die freistehende Vertikale finden sich, nicht untypisch für das Jahrzehnt, mehrfach. Was sie semantisch verband, war eine Ernsthaftigkeit in der Verwendung von Bildzeichen und kosmischer Symbolik, die – ohne dies bewerten zu wollen – dem umgesetzten westdeutschen Entwurf abging.
In der Herangehensweise der einzelnen Beiträge gab es gleichwohl Unterschiede: Während sich beim 1988er Modell von Felz/Skujin/Elze separate, in sich kompakte Funktionseinheiten zusammenfügen, ist bei den anderen eine struktiv-offene Haltung bis hin zum Aufbrechen der Gesamtfigur angelegt. Gemeinsam ist allen, dass eine Drift von einem ganzheitlich geglätteten zu einer stärker partikularisierten Auffassung wahrnehmbar ist, ob es sich nun um einen Einschub, scharf eingeschnittene Raumzonen oder freigestellte Bauglieder handelt. Besonders originell in seiner rauhen Materialästhetik am Modell und der Kleinteiligkeit des illustrierten Begleitnarrativs zeigt sich der Bauhaus-Entwurf.
Die Frage, inwieweit sich in den Konzepten ein Umgang mit der Legitimationskrise des DDR-Systems abzeichnet, ist nicht eindeutig zu beantworten. Gegenüber den Vorgaben scheinen die Entwürfe das (den meisten Weltausstellungspavillons immanente) Fortschrittspathos dezenter politisch eingefärbt zu haben; in den Erläuterungen des finalen Entwurfs ist dies ganz zurückgenommen. Fragestellungen der Ökologie klingen mehrfach an, solche zur Erhaltung der historischen Stadtbereiche, ein Schlüsselthema in der späten DDR, eher kaum. Der Aufbruch zu einer partizipatorischen Neuordnung der Gesellschaft, der sich mit den Runden Tischen im Spätherbst 1989 abzeichnete, fand keinen direkten Widerhall mehr; es blitzen allenfalls Verweise auf Widersprüche im Umgang mit der Geschichte auf, wie sie in Mattheuers Plastik zum Ausdruck kamen. Zwar versucht die postmodern inspirierte und dabei modernistisch-transparente Hausmetapher des Entwurfs der Kunsthochschule Weißensee, die „soziale politische Humanität, technologische Spitzenleistung, kulturelle Spezialitäten“ (Erläuterungstext) unter dem archetypischen Dach zusammenzuführen, doch führte dies eher zu einem virtuellen denn zu einem realen Baukörper.
Was 1992 den ambitioniert-utopischen Architekturentwürfen folgte (siehe Abbildung 8), war das Sonnensegel über einem bayrischen Biergarten, dem Fragmente der Berliner Mauer und Volkskunst aus der Mark Brandenburg ostdeutsche Töne hinzufügten.
Weiterführend:
Las dos Alemanias (R.D.A. y R.F.A.), deciden unirse en un único pabellón en la Expo’92
https://legadoexposevilla.org/las-dos-alemanias-r-d-a-y-r-f-a-deciden-unirse-en-un-unico-pabellon-en-la-expo92/
Aha, die Deutschen. Krach um den deutschen Expo-Pavillon für 1992: Bonn tauscht ein preisgekröntes Modell gegen einen Ladenhüter
in: SPIEGEL vom 20. August 1990, S. 164–166
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13501538.html
https://worldexpositions.info/expo1992_e.html
Lieske, Matti: Naturbetontes Weltspektakel: Ein herausgeputztes Sevilla erwartet die Besucher ab 20. April 1992 zur Weltausstellung. Ihr Motto mit Referenz an Columbus: „Das Zeitalter der Entdeckungen“
in: die tageszeitung vom 21. Dezember 1991, S. 19–20
https://taz.de/!1689077/
Techno expo
in: Popular science vom Mai 1992, S. 119
https://books.google.de/…
Krummheuer, Eberhard / Schwaiger, Egloff: Visionen, Impressionen – Expo 92 Sevilla. Deutscher Pavillon. Dokumentations-Bildband zur Weltausstellung EXPO 92. Vorwort von Hans-Gerd Neglein, Garbsen (Hannover) 1992
Butter, Andreas: Showcase and Window to the World: East German Architecture abroad 1949–1990
in: Planning Perspectives, Bd. 33 (2018), S. 249–269
DOI: 10.1080/02665433.2017.1348969
Sigel, Paul: Exponiert. Deutsche Pavillons auf Weltausstellungen, Berlin 2000
Zu Hause in Sevilla. Brandenburg und Berlin präsentieren sich auf der EXPO 92
in: Märkische Allgemeine vom 6. Juni 1992
https://telekritik.de/efka-text/zu-hause-in-sevilla.html
Hotze, Benedikt: Der Pavillon: Architektur oder Entertainment?
in: BauNetz, 13. Mai 2014
https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Der_Pavillon_Architektur_oder_Entertainment__3524645.html
Zeitspiegel
in: DIE ZEIT, Nr. 17/1990
https://www.zeit.de/1990/17/zeitspiegel
Sikora, Bernd: Alternativentwurf zum Projekt des Pavillons der DDR für Weltausstellung Sevilla 1992
https://www.miriquidimedia.de/architektur-kunst-im-%C3%B6ffentlichen-raum/erdacht/weltausstellungs-pavillion/