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Ein Wimpel aus Nordkorea – Hubert Matthes und sein Beitrag zum Wiederaufbau der Stadt Hamhung

Fund des Monats (Nr. 16 vom August/September 2021)

von Lena Hecker und Nammyoung Hong, TU Berlin

 

Die heutige Berichterstattung über Nordkorea ist geprägt vom Narrativ eines politisch abgeschotteten Staates – neben dem Atomwaffenprogramm, wenigen außenpolitischen Auftritten und einem inszenierten Tourismusprogramm ist wenig über die Alltagskultur des ostasiatischen Lands bekannt. Der Fund des Monats für September zeichnet hingegen ein differenzierteres Bild: er legt Zeugnis vom Wiederaufbau der nordkoreanischen Stadt Hamhung ab, der zwischen den Jahren 1955 und 1962 von einer DAG-Städtebaubrigade durchgeführt wurde. Dieser steht exemplarisch für die diplomatischen Beziehungen zwischen der DDR und Nordkorea sowie einen Architektur- und Planungsexport der DDR.

Beim Fund des Monats handelt es sich um einen Wimpel, der sich im Nachlass vom Landschaftsarchitekten Hubert Matthes (1929–2018) befindet. Matthes war als Grünplaner an den Aufbauplanungen in Hamhung, Nordkorea beteiligt. In der DDR wirkte Matthes zudem maßgeblich an diversen Freiraumprojekten in Ost-Berlin mit, außerdem war er im ‚Kollektiv Buchenwald‘ am Entwurf der drei wichtigen Gedenkstätten der DDR (Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen) beteiligt. 1978 wurde er zum Professor für Landschaftsarchitektur an der Hochschule für Architektur und Bauwesen (HAB) Weimar berufen, an der er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1992 tätig war. [1]

Auf dem Wimpel, der wohl im Jahr 1957 überreicht wurde, ist auf der Vorderseite Matthes selbst zu sehen. Er stützt sich auf eine Planrolle, die wiederum seinen Entwurf für einen zentralen Stadtpark mit Stadionanlage zeigt. Im Hintergrund erstreckt sich ein koreanisches Landschaftsidyll mit traditioneller Baukunst. Zudem wird Matthes auf Vorder- und Rückseite im Namen der koreanischen Bevölkerung für seine Mitarbeit am Stadtentwicklungsprojekt gedankt.

     

Abbildung 1: Vorderseite:
친근한 벗인 Hubert Matthes 동지 앞. 함흥시설계사무소도시계획부부원일동. 1957.1.5.
[Lieber enger Freund, Genosse Hubert Matthes. Die Mitglieder der Abteilung Stadtplanung im Amt für Stadterneuerung in Hamhung danken. 5. Januar 1957]

Abbildung 2: Rückseite:
친애하는 후버트 동지. 함흥시도시계획부 설계사업에서 동지가 남긴 고귀한 업적 은 우리향토를 훌륭하게 할것이며 우리 인민 들을 기리 행복스럽게 할것입니다.
[Lieber Genosse Hubert. Die edlen Errungenschaften, die von den Genossen im Rahmen des Entwurfsprojekts des Stadtplanungsamtes von Hamhung hinterlassen wurden, werden unsere Heimatstadt groß und unser Volk glücklich machen.]

Im folgenden Beitrag werden die Hintergründe zum Hamhung-Projekt vorgestellt und es soll konkret auf einige Aspekte der Ausführungsplanung und den Beitrag von Matthes selbst eingegangen werden. Illustrativ wird der Text von Fotos begleitet, die sich neben dem Stoffwimpel im Nachlass von Hubert Matthes befinden und an seinen Aufenthalt in Nordkorea erinnern. Das Album wurde nicht von Matthes selbst gestaltet, sondern ihm als Dank für seine Mitarbeit vom Brigadeleiter im Jahr 1956 übergeben. Der:die Fotograf:in dieser Aufnahmen ist unbekannt, ebenso fehlen genaue Beschreibungen zu den abgebildeten Szenen und Motiven. Daher bitten wir an dieser Stelle um Mithilfe bei der Beschreibung dessen, was auf den Fotos abgebildet ist. Eine weitere wichtige Quellengrundlage, um den Wiederaufbau von Hamhung nachvollziehen zu können, ist eine Dissertation, die der Koreaner Sin Dong-sam (1930–2021) in Form eines Zeitzeugenberichts 2017 veröffentlicht hat. [2] Sin studierte als Austauschstudent an der TU in Dresden und arbeitete im Hamhung-Projekt als Dolmetscher. In seiner Dissertation beschreibt er eindrücklich, wie sich die Zusammenarbeit zwischen deutschen und koreanischen Kolleg:innen gestaltete.

     
Abbildungen 3 und 4: Hamhung und Umgebung Mitte der 1950er Jahre

Hintergrund des Wiederaufbaus und der planerischen Zusammenarbeit sind zahlreiche solidarische Hilfsleistungen, die die DDR als sozialistischer Bruderstaat dem vom Krieg verwundeten Land zur Verfügung stellte. Bereits Ende 1949 nahmen die DDR und Nordkorea diplomatische Beziehungen auf. Die Hilfsleistungen der DDR fanden daran anschließend schon während des Koreakriegs in den Jahren 1950 bis 1953 ihren Anfang. So wurde bereits im September 1950 der ‚Korea-Hilfsausschuss‘ gegründet. Dieser sammelte Spenden, kaufte Hilfsgüter und organisierte deren Versand nach Nordkorea. Insgesamt umfassten die Hilfeleistungen der DDR vier Abkommen über Warenlieferungen sowie wirtschaftliche und humanitäre Unterstützung. [3]

Nach dem Koreakrieg wurden die Botschafter für die Länder akkreditiert und es kam zum ersten Treffen der Staatschefs Otto Grotewohl und Kim Il-Sung. Es wird berichtet, dass Grotewohl anlässlich des ersten Besuch des koreanischen Machthabers Kim Il-Sung in der DDR gegenüber koreanischen Regierungsvertretern den Wiederaufbau einer zerstörten Stadt zugesichert habe. Dem Angebot folgend entschieden sich die koreanischen Behörden daraufhin für die im Krieg zerstörte Industriestadt Hamhung sowie die etwas kleinere Hafenstadt Hungnam. Trotz logistischer und wirtschaftlicher Herausforderung für die DDR wurde über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren der Wiederaufbau der gesamten Stadt zugesichert, inklusive aller notwendigen Versorgungseinrichtungen wie Krankenhäuser, Wasserwerk, Kindergärten, Schulen sowie Industriekombinate. [4]

Hamhung und Hungnam in Nordkorea
 
Die Städte Hamhung und Hungnam befinden sich im zentralen, östlichen Teil Nordkoreas. Während Hamhung etwas ins Landesinnere versetzt liegt, handelt es sich bei Hungnam um eine Hafenstadt am koreanischen Ostmeer. Erstmalig Erwähnung findet die Region im 14. Jahrhundert. Da die Gegend über Land- und Seewege gut angebunden war und außerdem über fruchtbaren Boden verfügte, waren die landwirtschaftlichen Erträge üppig und die Region über viele Jahrhunderte Zentrum für Handel und Gewerbe. Mit der Annexion Koreas durch Japan 1910 war die Entwicklung Hamhungs und Hungnams durch die kolonialen Bedürfnisse nach Militarisierung und Industrialisierung des japanischen Kaiserreiches geprägt. Nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg wurde Korea von der Fremdherrschaft befreit und das Land im Süden von amerikanischen und im Norden von sowjetischen Truppen besetzt. Die Stationierung führte zur Gründung Südkoreas auf Grundlage einer liberalen Demokratie und Nordkoreas, das sich auf kommunistische Ideologien berief. Der Koreakrieg zwischen den Jahren 1950 und 1953 steht nicht nur symbolisch für die Spaltung des Landes, er führte auch zu weitreichenden Zerstörungen im Landesinneren. Auch die Gegend um die Städte Hamhung und Hungnam war von schweren Luftangriffen durch das US-Militär betroffen.

     
Abbildungen 5 und 6: Die Delegation der DDR vor Ort in Hamhung

Die erste Brigade begann 1955 mit ihrer Arbeit vor Ort. Auch Hubert Matthes scheint gleich zu Beginn der Planungen in Hamhung vor Ort gewesen zu sein, sein Beitrag für die Grünflächengestaltung von Hamhung lässt sich allerdings nur in Ansätzen nachvollziehen. Sin erwähnt die Beteiligung Matthes bei der Gestaltung einer Parkanlage im Zentrum der Stadt. Da der Bereich durch Feuchtigkeit und einen morastigen Untergrund nicht für eine Bebauung geeignet war, sollte er stattdessen viele Freizeiteinrichtungen wie Gaststätten, Museen und Ausstellungsräume beherbergen. Außerdem berichtet Sin von einem an den Stadtpark angrenzenden Stadion mit bis zu 35.000 Sitzplätzen; der Entwurf für dieses Stadion lässt sich vermutlich auf dem Wimpel nachvollziehen. Darüber hinaus war Matthes wohl an der Gestaltung eines historischen Stadtparks mit den Resten alter Bauwerke, dem Bau einer Freilichtbühne in den Ausläufern des Paljonsan-Bergzugs sowie der Flächennutzungs- und Grünflächenplanung der einzelnen Stadtbezirke beteiligt. [5] Über die finale Umsetzung dieser Freiraum- und Bauprojekte ist leider nichts belegt. Über Satellitenaufnahmen lassen sich heute lediglich ein ‚Youth Park‘ mit angrenzendem Stadion im Stadtzentrum von Hamhung nachvollziehen, wobei unklar bleibt, ob es sich dabei noch um die ursprünglichen Entwürfe von Matthes handelt.


Abbildung 7: Ein Satellitenbild zeigt den Stadtpark von Hamhung mit dem Stadion heute
(Google Maps, besucht am 5. Oktober 2021, URL: https://goo.gl/maps/LSaWYuDuJpZWKKA49,
Maps Data: Google © 2021 CNES/Airbus, Maxar Technologies)

Insgesamt wurde beim Wiederaufbau der Stadt versucht, bei der Ausführungsplanung architektonisch an koreanische Bauformen anzuknüpfen. Gebaut wurde überwiegend mit Lehmsteinen als traditioneller Baustoff. Dieser war lokal in großen Mengen verfügbar und in einer örtlichen Lehmsteinfabrik konnten wirtschaftlich ausreichend Lehmsteine produziert werden. [6] Eine Beschreibung von Herrn Sin zu den Unterkunftsgebäuden der ostdeutschen Städtebaubrigade lässt zudem vermuten, inwiefern verschiedene Architekturelemente miteinander verschmolzen: Die zweigeschossigen, langrechteckigen Gebäude, die mit Lehmsteinen gemauert wurden, besaßen ein leicht geschwungenes Satteldach, was dem koreanischen Baustil angepasst war. Zudem befanden sich an Terrasse und Balkon, die den Eingangsbereich der Gebäude rahmten, koreanisch-traditionelle Holzschnitzereien. [7] Auch in den Ausführungsplanungen darauffolgender Wohnbezirke wird auf verbindende Elemente der beiden Bautraditionen verwiesen. Während die serielle Produktion mit sozialistischer Maßordnung, die städtebauliche Kubatur und der Geschosswohnungsbau mit Wohneinheiten eher dem Vorbild der Wiederaufbauplanungen der DDR entsprachen, stehen die Linienführung der Dachausbildung und die ornamentale Gestaltung für wiederkehrende koreanische Bauelemente. [8] Dolmetscher Sin beschreibt das Bauen nach der Devise: ‚die Form sollte national, der Inhalt sozialistisch sein‘. [9]

     
Abbildungen 8 und 9: Links ein Wohngebäude, rechts ein Entwurf für die städtebauliche Gesamtanlage

Anders als geplant, wurden die Wiederaufbauarbeiten in Hamhung zwei Jahre früher als vorgesehen abgebrochen. In den vorausgehenden Jahren fielen die Hilfsleistungen zunehmend zulasten des Haushalts der DDR. Auf Grundlage dessen kündigte Otto Grotewohl im November 1960 in einem Schreiben an Kim Il-Sung an, die Hilfeleistungen aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten zunächst einzuschränken. 1962 wurde diese Ankündigung offiziell in einem Protokoll festgeschrieben und beendete damit die seit 1950 von der DDR gewährten materiellen Hilfen an die nordkoreanische Regierung. [10] Im Zuge dessen wurden auch die Arbeiten in Hamhung und Hungnam frühzeitig und zwei Jahre vor der geplanten Fertigstellung abgebrochen. Im September 1962 wurden offiziell alle bis dahin fertiggestellten Objekte von einer DDR-Delegation des Politbüros an die koreanische Seite übergeben. Dass dies nicht unter der Leitung des damaligen Präsidenten und maßgeblichen Mitinitiators der Korea-Hilfe Otto Grotewohl geschah, spricht zum Beginn der sechziger Jahre von einem nachlassenden politischen Interesse der DDR an diesem städtebaulichen und politischen Gesamtprojekt. [11] Wie sich die Planungen der deutschen Planer:innen noch heute im Stadtbild ablesen lassen, bleibt ungewiss. Anfragen verschiedener Wissenschaftler:innen und Zeitzeug:innen, u.a. Herr Sin selbst, den Baubestand knapp 60 Jahre nach Beendigung der Arbeiten erneut zu besuchen, blieben von den nordkoreanischen Behörden unbeantwortet. [12]

     
Abbildungen 10 und 11: Materiallager und Arbeiten vor Ort in Hamhung

Grünplaner Hubert Matthes verbrachte seinen Lebensabend in Berlin-Biesdorf. Über viele Jahre war sein Garten Schauplatz wiederkehrender Treffen von Kollegen, die an den Planungen in Hamhung beteiligt waren. Für viele Beteiligte schien der Aufenthalt in Korea eine prägende Erfahrung gewesen zu sein, Sin selbst beschreibt sie als „eine seiner schönsten Jugenderinnerungen“. [13] Auch er nahm bis zum Tod von Matthes im Jahr 2018 regelmäßig an diesen Treffen statt.

 

Anmerkungen

[1] Vgl. Fibich.

[2] Sin 2017.

[3] Vgl. Sin 2017, S. 40 f.

[4] Vgl. Kang-Schmitz 2010, S. 246 ff.

[5] Vgl. Sin 2017, S. 82, 87, 91 u. 150.

[6] Vgl. Sin 2017, S. 77.

[7] Vgl. Sin 2017, S. 79.

[8] Vgl. Sin 2017, S. 108 u. 125.

[9] Sin 2017, S. 120.

[10] Vgl. Sin, S. 42 f.

[11] Vgl. Kang-Schmitz 2010, S. 252 f.

[12] Vgl. Sin 2017, S. 181 ff.

[13] Sin 2017, S. 15.

 

Quellennachweis

IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen, C 14 (Nachlass Hubert Matthes)

 

Literatur

Architekturprojekte der DDR im Ausland. Bauten, Akteure und kulturelle Transferprozesse. Onlinedatenbank zum Architekturexport der DDR unter ddr-planungsgeschichte.de/auslandsprojekte

Butter, Andreas: Solidarität in Stein und Stahl? Der Architekturexport der DDR als Hebel einer „antikolonialistischen“ Außenpolitik, in: Hans-Peter Brogiato, H-P. u. Matthias Röschner (Hgg.), Koloniale Spuren in den Archiven der Leibniz-Gemeinschaft, Halle (Saale) 2020, S. 128–143

Ders.: Showcase and Window to the World. East German Architecture abroad 1949-1990, in: Planning Perspectives, Bd. 33 (2017), S. 249–269 (DOI: 10.1080/02665433.2017.1348969)

Artikel „Deutsche Arbeitsgruppe Hamhŭng“, in: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie, Bearbeitungsstand: 19. Januar 2021, aufgerufen am 7. Oktober 2021, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Arbeitsgruppe_Hamh%C5%ADng

Fibich, Peter: Artikel „Matthes, Hubert“, in: Holger Barth u. Thomas Topfstedt (Hgg.), Vom Baukünstler zum Komplexprojektanten. Architekten in der DDR. Dokumentation eines IRS-Sammlungsbestandes biographischer Daten (= REGIO doc. Dokumentenreihe des IRS, Bd. 3), Erkner 2000, S. 154 f.

Frank, Rüdiger, Die DDR und Nordkorea. Der Wiederaufbau der Stadt Hamhung 1955–1962, Düren 1996

Frank, Rüdiger: Lessons from the Past: The First Wave of Developmental Assistance to North Korea and the German Reconstruction of Hamhung, in: Pacific Focus, Bd. 13 (2008), S. 46–74

Artikel „Hamhŭng“, in: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie, Bearbeitungsstand: 23. April 2020, aufgerufen am 3. Oktober 2021, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Hamh%C5%ADng

Hong, Young-Sun: Through a Glass Darkly. East German Assistance to North Korea and Alternative Narratives of the Cold War, in: Quinn Slobodian (Hg.), Comrades of Color. East Germany in the Cold War world, New York 2015, S. 43–72

Kang-Schmitz, Liana: Nordkoreas Umgang mit Abhängigkeit und Sicherheitsrisiko. Am Beispiel der bilateralen Beziehungen zur DDR, Diss. phil., Universität Trier 2010 (online unter https://ubt.opus.hbz-nrw.de/frontdoor/index/index/docId/421)

Mende, Doreen: Hamhŭngs Zwei Waisen (Für Konrad Püschel). Ein ostdeutscher Internationalismus in Nord-Korea durch einen chrono-politischen Blick, Beitrag auf bauhaus-imaginista.org unter www.bauhaus-imaginista.org/articles/6100/hamhung-s-two-orphans-to-konrad-puschel/de, veröffentlicht 2018

Sin, Dong-Sam: Die Planung des Wiederaufbaus der Städte Hamhung und Hungnam in Nordkorea durch die DAG-Städtebaubrigade der DDR von 1955–1962. Eine städtebaugeschichtliche Abhandlung aus der Sicht eines Zeitzeugen, Berlin 2017 (ursprünglich Diss., HafenCity Universität Hamburg 2017, dort online unter https://repos.hcu-hamburg.de/handle/hcu/449)