DDR-PLANUNGSGESCHICHTE
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Die letzte Sitzung des BdA

Fund des Monats (Nr. 10 vom Februar 2021)

von Stefanie Brünenberg, IRS Erkner

 

Am 3. November 1990 fand die letzte Bundesdelegiertenkonferenz des Bundes der Architekten der DDR (BdA/DDR) statt. Im Vorlass des damaligen amtierenden Geschäftsführers Hubert Scholz (geb. 1932) findet sich das wortwörtliche Protokoll dieser Sitzung, anhand dessen man deutlich die Emotionalität ablesen kann, mit der die Entscheidung zur Auflösung des Architektenverbandes der DDR geführt wurde. Wir präsentieren als den aktuellen Fund des Monats das zugehörige letzte „Bulletin“ – ein Informationsblatt für alle Mitglieder im Bund der Architekten, in dem die Ergebnisse der Konferenz allen Interessierten mitgeteilt wurden. Die „Bulletins“ wurden regelmäßig herausgeben. Es handelt sich hierbei um beidseitig bedruckte, maschinenbeschriebene DIN-A3-Blätter. Besonders markant sind die Trennlinien zwischen den Spalten, die einen etwas collagenartigen Eindruck vermitteln.

Schon Ende des 19. Jahrhunderts war der Wunsch unter den Architekten groß, sich in einer eigenen Vereinigung zusammenzuschließen, um ihren Berufsstand zu sichern, einheitliche Honorare zu vereinbaren und sich fachlich auszutauschen. In einer der ersten Satzungen des 1903 gegründeten „Bundes deutscher Architekten“ wurde daher unter anderem der Schutz der künstlerisch schaffenden Architekten und die Verbesserung der Ausbildung festgeschrieben, außerdem sollte das Kürzel BDA zukünftig als Siegel für gute Architektur stehen. Dreißig Jahre später, mit der sogenannten „Machtergreifung“ Adolf Hitlers und der NSDAP, passte sich der BDA der nationalsozialistischen Politik an und wurde zusammen mit dem Kampfbund für deutsche Kultur zum tonangebenden Organ der in der neuen Satzung festgelegten ausnahmslos „arischen“ Architekten. Aufgrund dieser „wenig rühmlichen“ [1] Geschichte war nach dem Zweiten Weltkrieg eine Neugründung des Bundes nötig: Diese wurde 1948 in einzelnen Landesverbänden der alliierten Besatzungszonen und 1950 in der BRD vollzogen. 1952 gründete sich in der DDR der „Bund Deutscher Architekten“, der 1971 in „Bund der Architekten der DDR“ (BdA) umbenannt wurde. Dieser Architektenbund kann als Berufsverband aller Architekt*innen der DDR bezeichnet werden: Neben dem Bundesvorstand und dem Präsidium gab es zentrale Fach- und Arbeitsgruppen zu relevanten Themen. Seine Mitglieder waren in Bezirksgruppen organisiert. Auch Betriebe mit mehr als fünf angestellten BdA-Mitgliedern bildeten eine Betriebsgruppe. Der BdA stand in ständigem Austausch mit dem Bauministerium und der Abteilung Bauwesen des ZK der SED. Dadurch konnte er Einfluss auf die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in den Städten und Dörfern sowie die städtebauliche Ordnung und baukünstlerische Gestaltung der gebauten Umwelt nehmen. Daneben fanden viele vom BdA organisierte Weiterbildungen, kulturelle Veranstaltungen und internationale Forschungsreisen statt. [2] Die verbliebenen Unterlagen des Bundes liegen teilweise im Bundesarchiv und teilweise in den Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS. Bisher gibt es noch kaum umfangreiche Forschungen zum BdA der DDR – der sich deutlich von dem westdeutschen Bund unterschied.

Umso spannender sind die Vorgänge während der politischen „Wende“ in Deutschland nach dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR.

Nachdem der letzte Präsident des BdA/DDR, Ewald Henn, schon am 2. November 1989 zurückgetreten war, löste sich der Bundesvorstand des BdA kurz vor Weihnachten 1989 auf. In Vorbereitung auf einen außerordentlichen Kongress des BdA/DDR im März 1990 zur Zukunft des Verbandes wurden drei Arbeitsgruppen gebildet, um sich zu den Themen „Demokratische Erneuerung des BdA“, die „Stellung des Architekten in der Gesellschaft“ sowie die „Anforderungen der Architekten und ihres Bundes an die Wirtschaftsreform“ zu positionieren. Bei diesem Kongress Ende März 1990 sah es noch so aus, als würde der BdA/DDR unter neuem Namen, mit einer neuen Struktur und eben unter neuer Politik bestehen bleiben: Man entschied sich unter dem Namen „Bund der Architekten“ Arbeitsausschüsse zu bilden und einen Bundesvorstand aus den Landesvorständen und Fachverbänden zu gründen. Daraufhin wurden ein neues Statut sowie Arbeitspläne mit dem Ziel ausgearbeitet, in den kommenden Jahren aus dem DDR-Bund einen neuen Architektenbund zu formen. Doch es kam anders: Nur ein halbes Jahr später war die Wiedervereinigung Deutschlands mit der Währungsreform quasi abgeschlossen und die Beschlüsse aus dem Frühjahr galten nicht mehr – man hatte mit einer längeren Übergangszeit gerechnet.

Aufgrund dessen plante man für November 1990 eine erneute Sitzung mit dem im März festgelegten Bundesvorstand, um über die Zukunft des Bundes zu beraten. Bei dieser Sitzung waren 50 Personen anwesend. Nach der Begrüßung berichtete Wolf R. Eisentraut (geb. 1943) über die Entwicklungen der letzten Monate und stellte die Zukunftsoptionen für den BdA vor. Es folgte eine Diskussion und Abstimmung darüber. Im Anschluss wurden noch finanzielle Aspekte geklärt und die entsprechenden Maßnahmen zur Auflösung des Bundes besprochen. Das daraufhin gehaltene Abschlusswort von Eisentraut ist genauso wie die zehn Maßnahmen im Bulletin abgedruckt.

„Wenn man unterwegs ist und Kollegen trifft, begegnet man solchen Fragen: Ach, du bist noch beim Bund der Architekten; gibt es denn den Bund überhaupt noch? Wann löst ihr euch denn endlich auf? Was wollt ihr denn noch? – Das hört man. Man hört aber ebenso: Wann gibt es wieder Aktivitäten? Wir wissen gar nicht mehr so recht, wohin wir gehören!“
 
Wolf R. Eisentraut auf der Bundesdelegiertensitzung am 3. November 1990

Eisentraut erläutert in seinem Bericht unter anderem die neuen politischen Umstände, die mit der deutschen Wiedervereinigung einhergehen. Dazu gehört, dass viele der ehemaligen Zuständigkeiten des BdA nun auf andere Institutionen übergehen, wie das Bundesbauministerium. Die ursprüngliche Struktur des BdA mit Betriebs- und Bezirksgruppen existiert nicht mehr. Auch die finanzielle Unterstützung der Arbeit des BdA durch die Regierung fällt inzwischen weg. Und nicht zuletzt: In der Bundesrepublik wird die Arbeit der Architekt*innen bis heute über landeseigene Architektenkammern geregelt, die unter maßgeblicher Beteiligung des BdA in der ersten Jahreshälfte 1990 auch in den „neuen Bundesländern“ gegründet wurden. Aus diesen neuen Rahmenbedingungen ergeben sich vier Optionen für die Zukunft des BdA, deren Für und Wider von Eisentraut erläutert werden: Es gebe die Möglichkeit, den Bund weiter zu führen, ihn in Landesverbände umzustrukturieren, sich an einen anderen Verband der BRD anzuschließen oder den Bund aufzulösen. Mit diesen Varianten wurde vor dem Kongress unter allen BdA-Mitgliedern eine Umfrage durchgeführt, deren Ergebnis wie folgt präsentiert wird:
– Weiterführung des Bundes: 295 Stimmen,
– Übergang in Landesverbände: 233 Stimmen,
– Anschluss an einen BRD-Verband: 398 Stimmen,
– Auflösung des Bundes: 551 Stimmen.

Trotz dieser eindeutigen Aussprache für die Auflösung des Bundes vonseiten der Mitglieder werden im Folgenden alle Optionen nochmals besprochen, um den Entscheidungsprozess möglichst transparent und demokratisch nachvollziehbar zu gestalten.

Trotz des grundsätzlichen Wunsches nach einer Gemeinschaft der DDR-Architekten wird die Weiterführung des Bundes eher abgelehnt, da man sich nicht (noch mehr) in einer Außenseiterrolle derjenigen wiederfinden will, die in der ehemaligen DDR leben und nach der neuen Honorarordnung weniger verdienen: Man wolle kein „Bund der Minderbemittelten“ werden und sieht die Weiterführung des BdA als Minderung im Einigungsprozess mit der Bundesrepublik. Die Umwandlung des Bundes in Landesgruppen wird als Schwächung der Argumentationskraft wahrgenommen und daher auch eher abgelehnt. Der Zusammenschluss mit einem anderen Bund wird als undemokratisch wahrgenommen. Der BdA-Vorstand wolle nicht im Namen aller Mitglieder einen gemeinschaftlichen „Umzug“ vorschreiben.

Es bleibt die Option der Auflösung des Bundes – damit ist man laut Eisentraut „also schnell alle Probleme los“. [3] Die Auflösung erscheint als größtmögliche Konsequenz der neuen politischen Konstellation, ist aber eben auch ein Aufgeben: „[…] man gibt ein wenig Selbstbewußtsein der Architektenschaft, die hier [in der DDR, Anm. S.B.] gearbeitet hat – und nicht unter leichten Bedingungen gearbeitet hat – mit auf.“ [4] Anhand der Aussagen im stenografischen Protokoll der Sitzung wird deutlich, dass es Eisentraut und vermutlich dem gesamten Vorstand sichtlich schwer fällt, den Vorschlag zur Auflösung des Bundes zu machen und zur Diskussion zu stellen – trotzdem sehen sie es angesichts der Entwicklungen als „konsequent“ an, diesen Schritt zu gehen.

Die folgende Diskussion zeugt von der starken Verunsicherung durch die Prozesse der Wiedervereinigung Deutschlands. Insbesondere Manfred Zumpe (geb. 1930) aus Dresden und Michael Bräuer (geb. 1943) aus Rostock plädieren dafür, auch die Stärke des Bundes als Vertretung der Architektenschaft in den Kommunen hervorzuheben. Die ideelle Vertretung der Architekt*innen und damit auch eine Stimme für Qualität und Ästhetik im Bauwesen gebe es ohne den BdA nicht. Stattdessen würden jetzt Fachfremde über das jeweils föderalistisch geltende System des Bauwesens in den neuen Bundesländern entscheiden.

„Die Investoren stehen vor der Tür, sie kommen. Sie bringen auch nicht die Spitzengarde von Architekten drüben mit. Die sind nämlich drüben alle phantastisch ausgelastet anhand des Booms, der derzeit läuft. Wenn da nicht eine Lobby ist, die gegenhalten kann, […] dann geben wir […] ein ganz wesentliches Standbein unseres […] Idealismus, unseres Berufsethos auf.“
 
Michael Bräuer auf der Bundesdelegiertensitzung am 3. November 1990

Gleichzeitig fühlt man sich überfordert mit der neuen Konkurrenz aus Westdeutschland, die wiederum die Architekt*innen der DDR nicht ernst nimmt. So schildert Lutz Schneider (geb. 1943) aus Suhl, dass man in der BRD davon ausgeht, es gebe gar keine (richtigen) Architekt*innen in der DDR, weil „unter den Unrechtsbedingungen […] ja keine Architektur entstehen“ konnte und daher die Architekt*innen dort nichts „taugen“ würden. [5] Joachim Brenncke (geb. 1957) aus Schwerin berichtet ebenfalls, dass die Kommunikation mit den neuen – aus Westdeutschland zugezogenen – Baudezernenten schwierig sei, da dieser die ehemalige politische Dimension des BdA vorschiebt. [6] Diese Aussagen zeugen von der tief sitzenden, gegenseitigen Skepsis zwischen Ost- und Westdeutschen, die jegliche Beziehung zwischen neuen und alten Bundesländern in den folgenden Jahrzehnten prägen wird.

Es bleibt noch eine scheinbar offensichtliche Option: Die Verbindung des BdA mit dem BDA – dem Bund Deutscher Architekten in der Bundesrepublik. Eine solche Fusion, so gewünscht sie wohl von vielen Mitgliedern des BdA war, wird allerdings vom BDA „mit Entschiedenheit abgelehnt“, wie es im Bulletin deutlich formuliert wird. Grund für dieses westdeutsche Veto liegt vor allem in den unterschiedlichen Auffassungen der Architektenbünde begründet. Der westdeutsche BDA – der mit dem „großen D“ – ist bis heute ein Verband, der seine Mitglieder sehr gezielt auswählt. Aus dem ursprünglichen Statut des BDA von 1903 ist somit hauptsächlich die Etablierung eines Qualitätssiegels „BDA“ übriggeblieben: Mitglieder des BDA werden von anderen Mitgliedern aufgrund ihres herausragenden, architektonisch wertvollen Werkes benannt und dürfen dann die Abkürzung „BDA“ wie einen akademischen Grad hinter ihren Namen setzen. Der ostdeutsche BdA war ein Sprachrohr für alle Architekt*innen, eine Möglichkeit des interdisziplinären, fachlichen Austauschs, der Weiterbildung und trotz seiner politischen Steuerung auch ein Ort der Kommunikation über Schwächen und Schwierigkeiten des Bausystems. In den vierzig Jahren ihrer getrennten Geschichte haben sich die beiden Architektenbünde daher in so unterschiedliche Richtungen bewegt, dass eine Wiedervereinigung unmöglich war.

In der Abstimmung zur Zukunft des BdA in Ostdeutschland auf der Bundesdelegiertenkonferenz stimmen 40 von 48 stimmberechtigten Personen für die Auflösung des Bundes zum 30. November 1990. Die Liquidation des Bundes soll bis zum 31. Januar 1991 abgeschlossen sein – auch um den in der Organisation zuständigen Mitarbeiter*innen die Möglichkeit zu geben, eine neue Tätigkeit zu finden, denn auch die in den neuen Bundesländern wachsende Arbeitslosigkeit bereitet allen Beteiligten Sorgen.

Im Abschlusswort resümiert Eisentraut die Geschichte des BdA seit seiner Gründung 1952 und betont die besondere Qualität des Bundes: der Zusammenhalt der Architektenschaft. Man müsse sich aber nun den neuen Bedingungen stellen und sich individuell weiterentwickeln. Dafür sind am Ende des Bulletins Kontaktdaten zu allen wichtigen, architekturbezogenen Verbänden aufgelistet. Am Ende der Sitzung und damit am Ende des Bundes wünscht sich Eisentraut in seiner Rede, „daß wir von den vielen neuen Bauaufgaben genügend abbekommen, daß jeder sich verwirklichen kann ohne Bevormundungen eines Baukombinates, aber sicher im Ringen mit einem Bauunternehmen.“ [7]

„Der Beschluß erhält trotz großer Mehrheit keinen Beifall im Raum. Er führt einerseits zur Erleichterung, weil ein schwer erträglicher Schwebezustand beendet wird, und weil er Mut und Entschlossenheit verkörpert. Er erfüllt aber auch mit Wehmut, weil er den Abbruch einer Entwicklung bedeutet, die gerade erst begonnen wurde. Etwas geht verloren.“
 
Abschlussworte von Wolf R. Eisentraut zur Auflösung des BdA, abgedruckt im letzten „Bulletin“

Literatur

Webseite zur Geschichte des BDA: www.bda-bund.de/historie

Findbuch des Bundesarchivs zum dortigen BdA-Bestand (mit Hinweisen zu Geschichte und Organisation): www.argus.bstu.bundesarchiv.de/dy15

Gaber, Bernhard, Die Entwicklung des Berufsstandes der freischaffenden Architekten, Essen 1966

Bräuer, Michael: Ein Instrument zur Lenkung des Planens 1952–1989: Der BdA der DDR, in: Bund Deutscher Architekten Berlin (Hg.), Chronik einer Wahlgemeinschaft 1903–2013, Bd. 5: Deutschland im Wiederaufbau 1946–1959, Berlin 2013, S. 25–31

Eisentraut, Wolf R.: Zweimal BDA in der geteilten Stadt. Unterschiedliches Schaffen – gleiche Ziele, in: Bund Deutscher Architekten, Landesverband Berlin (Hg.), Wechselhafte Zeiten – fünf Ansichten aus 100 Jahren BDA Berlin, Berlin 2015, S. 47–58

 

Anmerkungen

[1] Webseite zur Geschichte des BDA unter www.bda-bund.de/historie

[2] Findbuch des Bundesarchivs (siehe Literatur), Einleitung.

[3] Stenografisches Protokoll der Bundesdelegiertenkonferenz des Bundes der Architekten am 3. November 1990, S. 21. IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen, C_48_4.

[4] Ebd., S. 25.

[5] Ebd., S. 36.

[6] Ebd., S. 38.

[7] Auszüge aus dem Schlußwort des Vorsitzenden, Prof. Dr. sc. techn. W.-R. Eisentraut, in: Bulletin. Informationsblatt für alle Mitglieder im Bund der Architekten e.V. i.L. [in Liquidation], hg. vom Arbeitsausschuß des BdA, Ausgabe vom November 1990, S. 1f., hier S. 2. IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen, C_48_2.