Der Bund der Architekten der DDR (BdA) als Standesorganisation spielte eine wichtige Rolle insbesondere im Bereich fachliche Fortbildung und für informelle Vernetzungen. Seine Führungsebene war insgesamt sehr staats- bzw. SED-treu und der BdA als Ganzes daher bis zuletzt kein reformorientierter Akteur, wie Harald Engler feststellt.
Ende der 1980er Jahre wurden die drängenden, offenkundigen Probleme beim innerstädtischen Bauen und vor allem die Frage des Umgangs mit der schon vorhandenen Bausubstanz des 19. und frühen 20. Jahrhunderts jedoch selbst im Bundesvorstand des BdA thematisiert, wenn auch verhalten und stets auf dem Boden des SED-Führungsanspruchs. Auf der Vorstandssitzung Ende Oktober 1988 in Karl-Marx-Stadt fanden einige Beiträger anlässlich einer Diskussion um Fragen der Generalbebauungsplanung vergleichsweise offene Worte. Da die Sitzungen stenographiert wurden, ist die Quellenlage besser als es bei einem geglätteten Protokoll der Fall wäre.
BdA-Präsident Henn wies in seinen einleitenden Worten kurz darauf hin, es gebe eine breite Diskussion unter DDR-Architekten hinsichtlich des zusehenden Verfalls der historischen Innenstädte; ein Umdenken bei den Fragen Abriss oder Instandsetzung sei daher notwendig. Wulf Brandstätter, Stadtarchitekt von Halle, sah beim Städtebau »Probleme und Schwierigkeiten en masse«, auch hinsichtlich der zu geringen Wirtschaftlichkeit der vorherrschenden industriellen Bauweise. Er folgerte: »Wenn wir Werterhaltung nicht gleichermaßen für den Neubau wie für den bestehenden Wohnungsbau betreiben, sind unsere Städte nicht erhaltbar. Wir müssen das machen, selbst wenn da oder dort das zu Ungunsten des Neubaus passiert.« Auch Günther Kabus als Fachmann für städtische Rekonstruktion strich die hohe Bedeutung des baulichen Erbes heraus, warnte vor einem einschneidenden Verlust an Lebensqualität und mahnte Veränderungen im Baugeschehen an.
Einführung von Ewald Henn |
Beitrag von Wulf Brandstätter |
Beitrag von Günther Kabus |
Beitrag von Hans-Georg Tiedt |
Beitrag von Wilfried Pfau |
Beitrag von Kurt Lembcke |
Hans-Georg Tiedt, Stadtarchitekt von Gera, wies u.a. wie schon Kabus darauf hin, dass Menschen abwanderten und wünschte sich mehr Entscheidungsspielraum für die Städte, wies auch ausdrücklich auf die 1989 bevorstehenden Kommunalwahlen hin. Wilfried Pfau vom Institut für Städtebau und Architektur (ISA) der DDR-Bauakademie sprach mit Blick auf die ISA-Begutachtung der Generalbebauungspläne der wichtigsten Städten der DDR deutlich aus, wie stark der Wunsch nach Erhaltung der historischen Stadtkerne einerseits sei, wie erheblich aber andererseits die Zwänge der industriellen Bauweise (»die Mittel diktieren die Stadtentwicklung und nicht umgekehrt die Stadtentwicklung die Mittel«), und forderte demgegenüber einen grundlegenden Wandel sowohl in der Herangehensweise als auch in der Struktur der Bauindustriebetriebe ein. Kurt Lembcke, Professor an der Hochschule für Architektur und Bauwesesen in Weimar, berichtete vom Feedback der Habitat-Arbeitsgruppe der Union Internationale des Architectes (UIA), die wenige Wochen vor der BdA-Vorstandssitzung der Einladung zu einem Seminar zum Thema innerstädtische Wohnquartiere in die DDR gefolgt war. Die Kollegen aus dem Ausland hätten zwar grundsätzlich die erheblichen Anstrengungen der letzten Jahre gelobt, Wohnraum zu schaffen, es sei aber auch angemahnt worden, beim Bauen die Beteiligung der Menschen zu stärken, den Architekten mehr Freiheiten zu geben und die einseitige Fokussierung auf die Plattenbauweise zu überwinden.
In der Sitzung wurde also von Expertenseite vergleichsweise offen diskutiert oder vielmehr referiert. Reformbedarf und -möglichkeiten wurden erörtert, aber keine Reformschritte angestoßen oder eingeleitet. Wulf Brandstätter resümiert rückblickend zum DDR-Städtebau: »Die Wende kam gerade noch zum rechten Zeitpunkt […]. 10 Jahre später, und die Stadtstruktur wäre weitgehend zerstört gewesen.«